Titel
Prozedurale Umweltpolitik der EU. Umwelterträglichkeitsprüfungen und Öko-Audits im Ländervergleich


Herausgeber
Heinelt, Hubert; u.a.
Erschienen
Leverkusen 2000: Leske + Budrich Verlag
Anzahl Seiten
441 S.
Preis
€ 34,90
Rezensiert für Neue Politische Literatur und H-Soz-u-Kult von:
Hey, Christian

PROZEDURALE UMWELTPOLITIK

In deutschen Amtsstuben wird der Kurswechsel der europäischen Umweltpolitik der 90er Jahre vom Ordnungsrecht zum Verfahrensrecht oft mit Skepsis betrachtet. Auch wenn sich Deutschland zum europäischen Musterland des Umweltaudits entwickelt hat, so löst doch der Import eines Umweltpolitikansatzes, der das Wechselspiel zwischen Zivilgesellschaft, Unternehmen und Staat in den Mittelpunkt stellt, zunächst Abwehrreflexe aus. Er war Anfang der 90er Jahre für die Umweltpolitiktradition des vorsorgenden Obrigkeitsstaates etwas Neues.

Erfrischend für die deutsche Debatte ist daher die theoretische Erwartungshaltung der "prozeduralen Umweltpolitik". Prozedurale Umweltpolitik erweckt die Hoffnung, einen Ausweg aus der regulativen Selbstüberforderung der traditionellen Umweltpolitik zu bieten. Ausgehend von der Literatur über die Grenzen hierarchischer Steuerung zeichnet das Autorenteam die politikwissenschaftliche Diskussion um die Potentiale der Selbststeuerung und lernfähiger Politiknetzwerke nach. Der Rückzug des hierarchischen Staates und der Bedeutungsgewinn von Politik-Netzwerken wird mit Renate Mayntz als "Indikator gesellschaftlicher Modernisierung" betrachtet. Wachsende Komplexität, Informations-, Vollzugs- und Ressourcendefizite des Staates erfordern die intensivierte Kooperation mit den Normadressaten. Das Steuerungspotential von Verfahrensrecht sehen die Autoren darin, daß der Zwang zum Argumentieren und Rechtfertigen Lernprozesse auslöst, die auch die Orientierungen der Akteure verändern können. Dabei schließen sich die Autoren den verschiedenen konstruktivistischen Diskussionszusammenhängen an, die davon ausgehen, daß Wahrnehmungen, Glaubenssätze, Ideen und Strategien durch kommunikatives Handeln veränderbar sind. Verfahrensrecht schafft neue Politiknetzwerke und Rechtfertigungszwänge und löst damit verschiedene Formen von Lernprozessen aus, so die zentrale theoretische Erwartung des Forschungsprojektes.

Wünschenswert wäre sicher eine kritischere Diskussion des referierten Steuerungsoptimismus durch dezentrale Kontextsteuerung gewesen. Über Grenzen und Gefahren von Selbststeuerung, über Netzwerkversagen und Lernblockaden (z.B. kognitive Dissonanz) erfahren die Leser wenig. Die geringe Wirkungsschärfe und Tiefe rein verfahrensrechtlicher Ansätze hätten sicher intensiver analysiert werden müssen, zumal sie als Antwort auf das Versagen des hierarchischen Steuerungsmodells stilisiert werden. Um so ernüchternder fallen dann die empirischen Resultate aus.

Bereits durch das Mehrebenendesign der empirischen Forschungsstrategie machen die Autoren deutlich, daß sich der umweltpolitische Erfolg von Verfahrensrecht nicht automatisch einstellt. Er ist hochgradig kontingent. Hier spielen die verschiedenen Vollzugsstrategien der Mitgliedsstaaten, die wiederum Ausdruck der verschiedenen politischen Kulturen und Regulationsstile sind, und zahlreiche situative Faktoren eine entscheidende Rolle. Der empirische Teil ist daher auch als mehrfach vergleichende Mehrebenenuntersuchung angelegt. Es werden die Umsetzungsstrategien der europäischen UVP-Richtlinie und des europäischen Umweltaudits in Großbritannien, Deutschland und Griechenland miteinander verglichen. Vor diesem Hintergrund hat das Forscherteam eine Reihe von Fallstudien ausgewählter UVP-und Umweltauditverfahren analysiert. Während im Falle der UVP "gute" und "schlechte" Verfahren analysiert werden, liegt der Analyseschwerpunkt beim Umweltaudit eher auf den umweltorientierten Pionierunternehmen.

Zu den zahlreichen situativen Faktoren im Falle der UVP gehört zum Beispiel die Kapazität von Umweltverbänden, sich an den Diskussionsprozessen zu beteiligen und ein argumentatives Gegengewicht zu den Projektträgern aufzubauen. Auch die Lern- und Anpassungsbereitschaft von Projektträgern bei einer UVP ist wichtig. Es gibt Fälle, in denen politische Rahmenbedingungen und aus Erfahrung klug gewordene Projektträger ein Interesse an einer ergebnisoffenen Diskussion der Umweltfolgen eines Projektes haben - dieses ist jedoch nicht automatisch gegeben. So verwundert es nicht, daß grundlegende Modifikationen der untersuchten Projekte eher die Ausnahme, periphere Anpassungen eher die Regel sind. Kurz: das Projektträgerinteresse setzt sich in der Regel weitgehend durch. Die obligatorische Reflexivität von Planung macht Planung nicht notwendigerweise reflexiv.

Alleine schon dank der Auswahl der Betriebe fällt das Ergebnis beim Umweltaudit ermutigender aus. Da das Audit freiwillig ist, kann man in der Regel bei den teilnehmenden Betrieben von einer intrinsischen Lern- und Anpassungsbereitschaft ausgehen. Zumeist ist die Entscheidung für die Teilnahme an einem Audit ein Schritt im Rahmen einer Marktstrategie, die Wert auf ein Umweltprofil legt. Es findet also keine "radikale Änderung der Firmenphilosophie" (S. 405), sondern eine systematische Vertiefung eines "bestehenden Qualitätsbewußtseins" statt. Die Entscheidung zur Teilnahme und der umweltpolitische Erfolg sind damit also pfadabhängig. Die Fallstudien verweisen auf zahlreiche Beispiele, bei denen dank einer systematischen Bestandsaufnahme der Umweltwirkungen, die bessere Verankerung von Umweltaspekten in der Betriebshierarchie oder die betriebliche Umweltpolitik, beachtliche Umweltverbesserungen erreicht werden konnten. Folge der unterschiedlichen politischen und kulturellen Einbettung des Umweltaudits ist, daß in Deutschland eher die betrieblichen Veränderungen als wichtig eingeschätzt werden und in Großbritannien die Kommunikation zu den Anwohnern einer Anlage von ebenso großer Bedeutung ist.

Enttäuschend ist die vergleichende Auswertung des reichhaltigen und aufschlußreichen empirischen Materials. Der Schwerpunkt liegt bei einer Rekapitulation der wichtigsten Einflußfaktoren auf die praktische Umsetzung der beiden Umweltverfahren. Eine systematische Reflexion der im ersten Teil entwickelten theoretischen Erwartungen aus der Sicht praktischer Ergebnisse findet leider unzureichend statt. Spätestens hier wäre der Ort, umweltpolitische Steuerungshoffnungen durch dezentrale Kontextsteuerung zu relativieren und systematisch Kontingenzbedingungen zu formulieren. Die Abkehr vom "Monoinstrumentalismus" gehört zum Stand der umweltpolitischen Diskussion - was zählt, sind die "institutionellen Arrangements", die die Stärken und Schwächen verschiedener Einzelinstrumente miteinander verkoppeln und die umweltpolitischen Kapazitätsbedingungen (ökonomisch, politisch, kulturell), die über die Veränderungsfähigkeit und Willigkeit mitentscheiden. Das empirische Material der Fallstudien hätte hier sicherlich noch besser für die Bereicherung der theoretischen und strategischen Diskussion genutzt werden können.

Insgesamt stellt das Werk aber eine der wenigen empirischen Analysen der Wirkung von Verfahrensrecht vor Ort dar. Es ist alleine schon deshalb lesens- und empfehlenswert.

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Rezension hervorgegangen aus der Kooperation mit der Zeitschrift Neue Politische Literatur (NPL), Darmstadt (Redaktionelle Betreuung: Simone Gruen). http://www.ifs.tu-darmstadt.de/npl/
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